Geschichte

Steine fürs Leben

 

Ziegeleien, CVJM und PerspektivFabrik in Mötzow

  

Die PerspektivFabrik ist neu. Das Haus am See hingegen ist schon etwas älter. Aber das Gelände, auf dem beide stehen, ist dagegen fast uralt! Das gesamte Gebiet östlich des Beetzsees zwischen Brandenburg und Mötzow gehört zum Brandenburger Domkapitel, und zwar bereits seit der Gründung des Bistums Brandenburg. Das war im Jahr 948. Damals regierte im Ostfrankenreich der Sachsenherzog Otto der Große (912-973). Als späterer Kaiser des Heiligen Römischen Reiches hat er mit seiner geschickten Innen- und Außenpolitik dem mittelalterlichen Deutschland, was damals freilich noch nicht so genannt wurde, die prägende Grundgestalt gegeben. 

 

Die Menschen im brandenburgischen Land wussten bereits im Mittelalter um die reichhaltigen Tonvorkommen, die sich in den Jahrtausenden zuvor aus den Schmelzwasser der Eiszeit in den Havelwiesen abgelagert hatten. Sie nutzten den weißgrauen bis gelblich aussehenden Havelton zur Herstellung von Ziegeln, mit denen nicht nur in Brandenburg an der Havel die meisten Häuser errichtet wurden. Auch die Anlage des Domstiftsgutes Mötzow mit seinen Wirtschaftsgebäuden und dem sehenswerten Schloss wurden mit Ziegeln aus Havelton gebaut. 

Mötzow ist der wohl älteste Ort in der heutigen Gemeinde Beetzseeheide. Er wurde erstmalig im Jahre 1161 als Mukzowe urkundlich erwähnt. Das Domstiftsgut wurde ständig als Vorwerk geführt. Die Herrschaft übte von 1161 bis 1872 das Domkapitel Brandenburg aus. Danach wurde das Gut bis 1945 verpachtet. Mit der Bodenreform übernahm das Domstift wieder die alleinige Bewirtschaftung des Domstiftsgutes Mötzow. Von 1882 bis 1962 war eine Brennerei das wirtschaftliche Rückgrat des Gutes, heute existiert hier ein Vielfruchthof (Spargel, Erdbeeren, etc.) mit Direktvermarktung im Hofladen.

Doch zurück in die Geschichte. Als im 18. Jahrhundert immer mehr königliche Bauten in der preußischen Sommerresistenz Potsdam entstanden, entwickelte sich ein großer Bedarf an Tonziegeln. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts boomte die brandenburgische Ziegelindustrie erneut, weil der Bauplatz Berlin Ziegel in Abermillionen Stückzahlen benötigte. Vor allem für die neuen Industrieanlagen sowie die Arbeiterunterkünfte, die so genannten Mietskasernen, wurden die handgestrichenen brandenburgischen Hintermauersteine geordert. Über die Havel ließen sich die Ziegel günstig nach Berlin verschiffen. Rund 100 Ziegeleien brannten gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts im Havelgebiet Steine.

 

Eine davon lag auf dem jetzigen Gelände der PerspektivFabrik. Bauliche Überreste der bereits 1747 erwähnten Ziegeleianlage sind für den aufmerksamen Betrachter heute immer noch sichtbar. Das Herstellungsverfahren hatte sich in den Jahrhunderten nur gering verändert, wurde aber aufgrund technischer Innovation immer wieder optimiert. Das Graben der Ziegelerde bildete den Ausgangspunkt der Ziegelproduktion. Der so geförderte Ton gelangte mit einer Feldbahn in die Ziegelei, wo er verarbeitet wurde. Das in der Qualität unterschiedliche Ausgangsmaterial musste in einem aufwändigen Verfahren zu einer einheitlichen Masse mit möglichst gleichen physikalischen und chemischen Eigenschaften aufbereitet werden. Das war notwendig, damit die Steine später beim Trocken an allen Stellen gleichmäßig auskühlten. 

 

Diese Aufbereitung geschah in gemauerten Tonschneidern, von denen noch einer auf dem Gelände der PerspektivFabrik zu finden ist. In den einzelnen Kammern wurde das Rohmaterial mit Wasser vermischt und „eingesumpft“. Hatte der Ton die entsprechende Feuchtigkeit, wurde er von oben in die so genannte Schnecke geworfen. Dies war ein senkrechter Zylinder, in dem sich eine Welle mit flügelartigen Messern befand, die durch zwei Pferde über einen Balken gedreht wurde. So wurde der Ton gemischt, verdichtet und nach unten gedrückt, wo er zum Streichen entnommen wurde. 

 

Die sogenannten Streicher füllten die Masse in Formen, strichen sie glatt und legten die noch feuchten Steine zum Trocken aus. Dort blieben sie etwa drei Wochen und wurden immer wieder gewendet. Diese Arbeit erledigten im wilhelminischen Kaiserreich meist Kinder. Für 1.000 gekippte Steine gab es damals 5 Pfennige, das entspricht heute in etwa einem Wert von 0,26 Euro. Auf dem Gelände der Alten Ziegelei in Mötzow standen einst acht Trockenschuppen, von denen jeder etwas 200.000 bis 300.000 Steine fasste.

 

Erst danach kamen die getrockneten Ziegel zum Brennen in den so genannten Ringofen, der eine Temperatur bis fast 1.000 Grad Celsius erreichte. So ein Brennprozess dauerte etwa 10 Tage. Dabei durchliefen die Ziegel 16 Kammern mit unterschiedlichen Temperaturen, so dass die Steine nur allmählich erhitzt wurden. Nach dem Brennprozess wurden sie direkt verladen und nach Potsdam oder Berlin transportiert. Um die Jahrhundertwende arbeiteten in der Mötzower Ziegelei etwa 75 Männer, von Frühjahr bis Herbst kamen noch zahlreiche Saisonarbeit dazu. Der Wochenlohn für Streicher, Sümpfer, Ein- und Auskarrer betrug etwa 30 Reichsmark, Tonstichleute verdienten damals etwa 20 Reichsmark. 

 

Doch bereits Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Tonvorkommen der näheren Umgebung im Wesentlichen erschöpft. Der Ton wurde einige Zeit mit Kähnen von der Oberhavel heran geschifft, das Verfahren entpuppte sich aber schnell als unrentabel. Eine Ziegelei nach der anderen wurde geschlossen, die Mötzower Ziegeleien ereilte ihr Schicksal im Jahr 1931. Die Gebäude und der Ringofen wurden bis auf das heutige Haus am See, welches danach als Viehstall diente, abgerissen. 

 

Doch erstarb das Gelände nicht. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg unternahmen Mitglieder des evangelischen Jungmännervereins Brandenburg a.d.H. erste Ausflugsfahrten zu dem ehemaligen Ziegeleianwesen. Unter der Leitung von Georg Jagdhuhn wurde das noch existierende Haus am See nach dem Krieg in mühevoller Eigenarbeit um- und ausgebaut. Immer wieder unternahmen die Brandenburger mehrtägige Arbeitseinsätze in Mötzow, bei denen neben der Sanierung des Gebäudes vor allem die geistliche Gemeinschaft mit Bibellesen, Singen und Beten im Mittelpunkt stand. Das Evangelische Jungmännerwerk schloss 1950 mit dem Domstift Brandenburg einen Vertrag für die Nutzung des Geländes als Rüst- und Freizeitheim. Ungezählte Kinder, Jugendliche, junge und junggebliebene Erwachsene haben seitdem im Haus am See Gemeinschaft erfahren, sind Gott begegnet und haben Freunde gefunden. 

 

Eine bedeutende Erweiterung erfuhr das Haus am See mit der Errichtung der Bungalows 1967. Durch die ebenerdige Bauart ist es das erste Rüstzeitheim der DDR gewesen, in dem Rüstzeiten für körperbehinderte Menschen stattfinden konnten. Nach der friedlichen Revolution 1989 übernahm das CVJM-Ostwerk e.V. als Nachfolger des Evangelischen Jungmännerwerks die Verantwortung für das Gelände. 

 

Neue Zeiten brauchen neue Konzepte. Die geänderten Rahmenbedingungen, das veränderte Urlaubs- und Reiseverhalten, steigende Qualitätsansprüche und neue gesellschaftliche Herausforderungen machten eine Weiterentwicklung im Haus am See notwendig. In einem mehrjährigen Prozess entwickelten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des CVJM-Ostwerk e.V. eine Zukunftsstrategie mit dem Ziel der Erweiterung des Areals zu einer ökologischen Freizeit- und Erholungsanlage in Verbindung mit einem kooperativen und integrativen Jugendförderprojekt.   

 

Die neuen Ideen wurden mit einem neuen Partner umgesetzt. Seit 2008 wird das Haus am See von der PerspektivFabrik gGmbH betrieben. Ihre Gesellschafter sind das CVJM Ostwerk und die Henry Maske Stiftung A Place for Kids. Das Engagement des CVJM für Kinder und Jugendliche wird mit der Henry Maske Stiftung um einen besonderen Blick für benachteiligte Kinder und Jugendliche ergänzt. Zu den bereits bestehenden Gebäuden wurden eine Mehrzweckhalle und acht neue Ferienhäuser errichtet. Dazu entstand ein Heizhaus mit einer 450 KW Hackschnitzel-Heizanlage sowie eine Biokläranlage.

 

Inzwischen haben viele Kinder und Jugendliche Ferienzeiten, eine Klassenfahrt oder ein Wochenendprogramm in der PerspektivFabrik erlebt. Die Wertschätzung, die wir Kindern und Jugendlichen entgegen bringen, und die Programme, die wir durchführen, werden zu Schlüsselerlebissen und prägenden Erfahrungen. Wir helfen unseren jungen Gästen Perspektiven für ihr Leben zu entwickeln, damit sie lernen Verantwortung für sich und andere zu übernehmen und zu tragfähigen Steinen unserer Gesellschaft werden. Damit sind wir fast wieder am Anfang der Geschichte. Was mit einer Ziegelei begann, mit Bausteinen für die Zukunft der Region, führen wir fort, in dem wir Bausteine für die Zukunft von jungen Menschen erarbeiten.

 

Kinder und Jugendliche spielen bei uns die größte Rolle. Genau so willkommen sind  Familien, Erwachsene und Senioren!

 

Wir wünschen Ihnen eine schöne Zeit in der Perspektivfabrik.

 

 

 

(Text: Johannes Leicht, Andreas Lindauer)